5wft Episode 14: Bruchlandung

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    Zeitungsente, Laminiergerät, Wetterhahn, Mordwaffe, Sonnenbrand

    Einen Augenblick lang wusste ich nicht, ob das Gefühl in meinem Bauch Erleichterung oder Enttäuschung darüber war, dass Cimaron mir nicht hinterherrannte. Schließlich entschied ich mich, dass es besser so war. Ohne ihn konnte ich ungestört Tests durchführen, was man als Toter so alles anstellen konnte. In der Bäckerei hatte ich mich bereits von unserer Unsichtbarkeit für die Lebenden überzeugen können, aber das konnte ja wohl nicht alles sein. Frustriert stellte ich schnell fest, dass ich ohne Cimarons Hilfe nicht einmal Türen öffnen konnte. Verdammte Axt! Warum hatte ich daran nicht früher gedacht. Was, wenn mich nun wirklich ein Wirbelsturm auf einen Baum trieb? Apropos, vielleicht konnte ich ja fliegen? Einige Luftsprünge und nicht wenige Bauchplatscher später musste ich auch das leider als No-no abhaken. Tot sein war verdammt kacke. Und alleine tot sein verdammt … einsam. Es war noch nicht einmal eine halbe Stunde her, seit Cimaron mich auf den Boden hatte fallen lassen, und dennoch vermisste ich seine nervtötende Art bereits. Ein Rauhaardackel pinkelte mich an und ich verfiel wieder in Trübsal, weil sein Hecheln und Schwanzwedeln mich unwillkürlich wieder an Cimaron erinnert hatte. Schlecht gelaunt streifte ich durch die Straßen, wobei ein Fahrrad von hinten durch mich hindurchfuhr (ganz mieses Gefühl). An einem Kiosk sprang mir eine Schlagzeile ins Auge: Selbstmord – Elfi K. (17) sprang absichtlich.

    Zum Glück lag die Zeitung auf dem Tresen, sodass ich zumindest den halben Artikel durchlesen konnte. Meine Nackenhaare richteten sich auf bei den Lügen, die dieser angebliche Journalist über mich verzapfte. Laut ’Koz‘ war ich eine ’zu Depressionen neigende, in sich gekehrte Schülerin‘, besaß ’wenig bis keine Sozialkontakte‘ und fühlte mich zu ’okkulten Praktiken hingezogen‘. Hallo? Ich war doch keine Satanistin! Nur weil ich ein Tarot-Kartenset in meinem Schreibtisch verstauben ließ und wusste, dass ein Pentagramm fünf Zacken hatte … und überhaupt, was hieß denn ’keine Sozialkontakte‘? Ich hatte sehr wohl Freunde! Zum Beispiel Jen, meine Lieblingsfreundin seit dem Kindergarten. Es gab ja sogar einen Jungen, den ich mochte – Pablo. Wir waren zwar nicht zusammen gewesen, aber es hatte ganz schön gefunkt und wäre ich nicht vom Hochhaus geschubst (ja!) worden, wären wir ganz gewiss –

    »Uhh … Elfi. Das sieht jetzt aber gar nicht gut für dich aus.« 

    Erleichterung. Es half nichts, so sehr ich es versuchte, es mir auszureden, ich war einfach erleichtert, Cimaron an meiner Seite zu wissen. Natürlich nur, weil er Türen öffnen konnte – und selbst das würde ich ihm nicht auf die Nase binden.

    »Das ist eine ZEITUNGSENTE. Dieser Koz ist ein Schmierfink sondersgleichen, wir sollten ein bisschen bei ihm spuken gehen, damit er den Beruf wechselt.«

    »Weder du noch ich sind Poltergeister. Der Artikel ist nicht schlecht recherchiert, schau.« Cimaron hatte die Zeitung auseinandergefaltet (was mich ärgerte, weil ich es nicht konnte) und las den zweiten Abschnitt laut vor. »’Elfi war verliebt in mich, aber ich interessiere mich nicht für Mauerblümchen‘, gesteht Pedro S. (Name von der Redaktion geändert) sichtlich betreten. ’ich wünschte nur, deswegen wäre sie nicht gleich vom Hochhaus gesprungen.’« Cimaron hob die Brauen. »Ehrlich, Elfi? Liebeskummer wegen Paul?«

    »Pablo. Und nein«, antwortete ich abwesend, während ich las, was Jen (Jess, laut dem Käseblattschmierer) über mich zu sagen hatte. ’Elfi war labil. Seit der Scheidung ihrer Eltern war sie nicht mehr dieselbe. Ich ahnte, dass sie sich etwas antun könnte.‘ Schnaubend hob ich den Kopf. »Nimm das mit, das ist ein Beweismittel.«

    Cimaron hob die Arme. »Das wäre doch Diebstahl.« Er grinste sichtlich erfreut. »Brauchst du mich etwa?«

    »Wir haben einen Mord aufzuklären. Koz hat meinen Namen in den Schmutz gezogen und meine Freunde falsch zitiert. Das Mindeste, was wir tun können –«

    »Ich höre immer nur wir. Wieso wir? Was hab ich denn davon?«

    »Wenn wir hier fertig sind, kannst du mich auf die Ebene beamen, wie auch immer du willst.«

    »Vielleicht will ich dann nicht mehr.« Er schnüffelte. »Riecht hier etwas faul? Ich habe den Eindruck, du verwest vielleicht langsam, Elfie. Der Regen tut deinem Körper nicht gut.«

    Ich wusste, dass er mich nur ärgern wollte, aber ich kontrollierte trotzdem meine Arme auf Fäulnisspuren und schnüffelte unauffällig an meinem Kragen. Da waren tatsächlich überall braune Sprenkel, aber sie stellten sich als Pfützenwasser von meinen Flugversuchen heraus. 

    Cimaron lachte auf. »Vielleicht sollten wir dich einbalsamieren. Oder besser noch einschweißen. So ein Latexanzug–«

    »Es gibt keine LAMINIERGERÄTe in Menschengröße«, blaffte ich und stapfte los.

    »Wohin gehen wir?« Cimaron-Fifi hechelte mir hinterher.

    »Zu meinen Freunden. Ich will wissen, was hinter dem Zeitungskram steckt.« Zu meinem Verdruss hatte es wieder angefangen zu regnen. Warum traf mich Regen und Dreck aber Fahrräder konnten durch mich hindurchfahren? Die Frage hatte ich wohl laut gestellt, denn Cimaron räusperte sich auf Oberlehrerart.

    »Das ist rein mental. Als es regnete, glaubtest du noch nicht, tot und unsichtbar zu sein. Zu dem Zeitpunkt, wo das Fahhrad dich angefahren hat, wusstest du es bereits.«

    »Kapier ich nicht. Dann könnte ich doch auch … sagen wir mal … fliegen, wenn ich es mental wollte.«

    »Kannst du auch, wenn du daran glaubst. Aber ich hab da nicht viel Hoffnung bei dir, du bist ziemlich engstirnig.«

    »Also hör mal …«

    »Versuch doch einfach mal das.« Der Regen traf Cimaron plötzlich nicht mehr. Mir lief das Wasser in Sturzbächen von der Stirn in die Augen und er sah aus wie ein frisch geföhnter … äh … Engel.

    »Kannst du es aufhören lassen, zu regnen?«, fragte ich irritiert.

    »Ich bin doch kein WETTERHAHN.«

    »Das würde dir auch nicht viel bringen, außer, dass du dich hübsch drehen könntest …«, brummte ich.

    »Nein, ich denke nur, dass der Regen mich nicht berühren kann und … tadaaaa.«

    »Gilt das auch für aufdringliche Engel? Dann probiere ich es sofort mal aus.«

    »Der aufdringliche Engel hat dich seit den Erdbeertörtchen nicht mehr angefasst und du weißt es ganz genau, weil jede Faser deines toten Körpers sich danach sehnt.«

    »Überhaupt nicht!« Sehr. Es fühlte sich an, als wäre er mein verdammter Magnetgegenpol und ich war im permanenten Kampf gegen meine Hand, die sich in seine (frisch geföhnten) Wuschelhaare krallen wollte. 

    Cimaron lächelte wissend. »Ich gebe dir noch eine Stunde … maximal.« Dabei streifte seine Hand ganz zufällig meinen Hintern und löste in meinen Eingeweiden ein Erdbeben aus … ähm ein … Darmbeben? Ein… was weiß ich, er brachte mich so durcheinander, dass ich den Wunsch verspürte, ihn zu Tode zu küssen. Lippen als MORDWAFFE, das war ja schon fast prosaisch.

    Als wir vor dem Haus von Jen ankamen, in das ich so oft ein und ausgegangen war, war ich plötzlich doch wieder befangen. Was, wenn sie nicht so um mich trauerte, wie ich es mir vorgestellt hatte? Und was, wenn doch? Ich konnte sie ja nicht einmal trösten.

    Cimaron wedelte mit der Hand vor mir herum. »Nach Ihnen, Euer Nassheit.«

    Ich schnaubte. »Immerhin riskiere ich keinen SONNENBRAND.«

    Im selben Moment sprang die Tür auf und Jens Rücken erschien in der weißen Zarge. Unnötigerweise hielt ich den Atem an, aber natürlich nahm sie keine Notiz von mir. Vermutlich hätte sie mich auch lebend nicht bemerkt, was daran lag, dass sie beschäftigt war. Mit kichern. Und küssen. Als der Geküsste in unser Blickfeld trat, fielen meine Arme an meine Seiten wie Mehlsäcke. Pablo sah genauso aus, wie an dem Tag, an dem ich ihn das letzte Mal geküsst hatte. Er trug dasselbe rote T-Shirt, die Haare waren auf dieselbe Art über die feine Narbe an seiner Schläfe gekämmt und er hielt meine beste Freundin genauso im Arm, wie er mich gehalten hatte. Als ob es nicht noch katastrophaler ging, spulte er auch noch exakt denselben Text ab, den er damals bei mir vom Stapel gelassen hatte, und der mich zum glücklichsten Mädchen der Schule gemacht hatte: »Sos mi amor, mi vida, mi corazon.«

    Konnte ein Herz brechen, wenn es tot war? Ich muss wohl ein Geräusch gemacht haben, denn Cimaron brach seine selbstauferlegte Berührungskarenz und schlang seine Arme so fest um mich, dass ich das Gefühl hatte, er würde mich zusammenhalten. Dankbar vergrub ich das Gesicht an seiner Schulter. Mehr musste ich im Moment wirklich nicht von dem knutschenden Elend mitansehen. Dabei war mir nicht einmal zum Weinen zumute. Ich war einfach nur verletztverratenenttäuscht…

    Cimaron schob mich nach einer Weile von sich und musterte meine trockenen Augen und die vor Wut brennenden Wangen. »Wenn er gesehen hätte, wie elegant du bei deinen Flugversuchen auf die Schnauze fallen kannst, hätte er dich nie gegen diese Sirene eingetauscht.«

    2 Kommentare

    1. Irgendwie fehlt mir glaub ich ein Teil, oder ich hab einfach zu lange Pause gemacht ….
      Das wird immer spannender mit der Aufklärung, und Elfi ist einfach nur süß!

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