Wie viel von mir steckt in meinen Büchern?

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    Heute habe ich eine tolle Rückmeldung zu den ersten drei Büchern bekommen. Unter anderem erwähnte die Leserin, dass ihr bei Schaumkrone manchmal etwas die Action und der Humor aus den ersten beiden Bänden fehlte. Andere wiederum meinten, die Verschnaufpause in Schaumkrone hätte ihnen gut getan.

    Ich plaudere nun ein wenig aus dem Nähkästchen. Als ich Schaumkrone plante, als mir die ganzen Irrungen und Verwirrungen mit der Vergessenheit und der Vorstellung, Ruby von allem zu trennen, sie auf Null zu setzen und sich aus der Einsamkeit aus eigener Kraft und mit ganz viel Mut freikämpfen zu lassen, einfielen, wusste ich noch nicht, wie viel Kraft mich das kosten würde. Ich wusste nicht, dass der Schreibprozess in eine Phase meines Lebens fallen würde, in der ich nicht mehr würde schreiben können. Ich ahnte nicht im Geringsten, dass ich mich oftmals so einsam fühlen würde, als wäre ich wie Ruby in einer vergessenen Adnexe eingesperrt.

    Im Sommer 2016 erlitt ich ein schweres Trauma. Mein Leben hörte auf. Dann ging irgendwas weiter, aber es hatte nichts mit dem zu tun, was ich vorher gekannt hatte. Ich funktionierte irgendwie, leidlich. Ich kämpfte, aber ich wusste nicht gegen was oder wofür. Ich fühlte mich wie unter Wasser.
    Ironischerweise sperrte ich meine Protagonistin in eine Blase unter Wasser, abgeschnitten vom Rest der Welt, ohne Möglichkeit, auszubrechen oder mit der Außenwelt zu kommunizieren. Komischer Zufall, aber so hatte ich es ja geplant.
    Ruby litt und ich litt. Ich litt mit ihr, weil ich ihr wehtun musste. Ich litt, weil ich wehtat. Viel von meinem Schmerz, den ich damals in mir trug und nicht hinausschreien konnte, floss in Rubys Entwicklung. Manchmal konnte ich das Manuskript nicht öffnen. Manchmal war mir all der Kummer und das Leid zu viel. Oft saß ich stundenlang vor einem blinkenden Cursor. Ich hatte keine Schreibblockade, ich hatte eine Lebensblockade. Zeitweise schrieb ich Nonsens. Hauptsache irgendwas geschrieben. Dann habe ich tagelang nur gelöscht. Nichts half. Alles war scheiße. Die erste Rohversion brachte mich an den Rande der Verzweiflung – gut, das tut sie immer. Ich denke immer, der erste Draft ist so scheiße, der kann nur komplett in den Müll. Dann lesen es Testleser und versichern mir, dass es sehr gut ist, danach schicke ich es meiner Lektorin und dann beginnt die richtige Arbeit. Am Ende kommt ein Buch heraus, auf das ich stolz bin.
    Unglücklicherweise war das bei Schaumkrone nicht der Fall. Manche meiner Testleser ließen mich hängen, konnten aus Zeitgründen nicht oder fanden nicht ins Manuskript und gaben auf. Andere befanden sich in einer Lebensphase, für die mein Buch zu schwermütig war und gaben mir nur sehr verhaltene Rückmeldung, die mich in meiner Ansicht, ein beschissenes Buch geschrieben zu haben, bestätigten. Viele merkten an, es sei bedrückend, sehr gedämpft, langsam, ruhig, traurig … Mit einer Vielzahl dieser Adjektive fühlte sich Schaumkrone mehr denn je an wie der letzte Scheiß.
    Ein Lektorinnenwechsel und einige Missverständnisse kamen dazu. Ich wollte zur Ablenkung Illustrationen zeichnen, ertrug jedoch den Anblick eines leeren Blattes nicht. Es war, als würde ich dabei in einen Spiegel schauen. Leer. Blank. Ich saß am Grund eines Brunnens, so tief, dass ich kaum das Tageslicht mehr erahnen konnte.
    Wir fuhren nach Frankreich – ich ließ den Computer geschlossen.
    Ich packte den Zeichenblock aus und saß zwei Stunden mit dem Stift in der Hand vor dem geschlossenen Block.
    Ich lieh mir einen Kopfhörer.
    Ich zog mir Wild Child von Tyler Bryant & The Shakedown aufs Handy.
    Ich schlug den Block auf … und zeichnete. Ich zeichnete und zeichnete. Ich weinte aufs Blatt. Ich tanzte beim Zeichnen. Ich hörte das Album so oft rauf und runter, dass ich nach kürzester Zeit jedes Lied mitsingen konnte. Mit jedem Bleistiftstrich brach ein kleines Stückchen der Adnexhülle, in der ich gefangen war. Ich zeichnete mich frei. Eine Welle an Rockmusik trug mich ins Leben zurück.

    Dann kam Pia, meine neue Lektorin. Die Zusammenarbeit war das beste, was ich bisher in der Hinsicht erlebt habe. Zusammen mit Lillith, meiner Korrektorin, bildeten wir ein Trio, das perfekt harmonierte. Pia fing mich an einem Punkt auf, an dem ich nicht mehr weiterwollte. Sie nahm mich an die Hand und führte mich bestimmt und mit strengem Nachdruck an meine Grenzen heran und überwand sie mit mir. Ich bearbeitete dieses schwierige Manuskript. Ich kämpfte gegen die Einsamkeit. Ich gab Ruby einen Willen, gegen das Vergessenwerden zu kämpfen. Und indem ich Ruby die Kraft verlieh, ihren Drachen zu erkennen, einzusehen, dass SIE selbst die einzige ist, die sich aus dieser Adnexe befreien kann, tat ich es selbst ebenfalls. Ich stand auf und krabbelte aus dem Brunnen. Lillith wartete oben mit einem Schatz an Humor und Superlativen, mit denen sie mein Manuskript kommentierte. Ich liebe den Abschluss mit Lillith, es ist wie eine Belohnung, mit ihr zu Arbeiten. Das Beste kommt zum Schluss.

    Schaumkrone ist mein ehrlichstes Buch. Ein Ozean. Er kann ruhig scheinen, aber unter der Oberfläche herrschen tödliche Strömungen. Vielleicht kämpft auf dem Grund eine ganze Welt gegen das Vergessenwerden.
    Ich sah aus wie eine Mama, die gerade ihr zweites Kind bekommen hat, die wahnsinnig schnell alle Schwangerschaftspfunde abgenommen hat, die mit dem Baby zum Sport ging, die Bücher schrieb, die glücklich war, die funktionierte.
    Ich WAR eine Mama, die gestorben war und den Weg nicht zurückgefunden hatte. Eine Drachenhaut an der Wand. Ein Schädel mit leeren Augen. Musik hat den Funken gezündet, damit der Drache heimkehren konnte.

    „Alles ist für etwas gut im Leben“. Nach meinem Trauma machte mich dieser Satz lange Zeit zornig. Wofür sollte das gut sein? Es gab NICHTS, was mir daran weiterhelfen konnte. Aber heute sehe ich, dass Ruby und ich an unseren Schmerzen gereift sind. Früher habe ich oft getan, was ich dachte, was angemessen war, was andere wollten, was sich gehörte. Heute mache ich, was richtig für mich ist. Ich fühle mich in die Situation hinein. Nehme mir die Zeit, zu entscheiden. Frage die richtigen Menschen um Rat. Und dann genieße ich die Freiheit, für mich selbst eine Entscheidung zu treffen.
    Ich will nichts mehr bereuen.
    Ich bin nicht froh darüber, was passiert ist, aber ich bin dankbar, dass ich wohl auch einen Teil Phönix in mir trage, den ich ohne den ganzen Mist nie entdeckt hätte.

    Schaumkrone hat mich gefordert wie kein anderes Buch zuvor. Es war schwer, es zu schreiben. Ich hatte Angst, dass die Leser mir diese Melancholie nicht verzeihen. Aber ich denke, ihr fühlt meinen Schmerz durch Ruby und ihr wisst, dass er echt war.

    Wenn ich nun abschließend sagen sollte, wie viel von mir in meinen Büchern steckt, dann kann ich nur sagen: Die Gefühle meiner Helden sind alle echt. Ich bin nicht Ruby. Ich bin kein Kai und am wenigsten ein Ali. Aber ich weiß, was Yrsa fühlt. Ich schenke Thyra ein Lächeln, weil sie das Richtige tut, auch wenn es keiner versteht. Ich bin dankbar für Alis Besonnenheit. Ich tobe mit Kai in der ersten Reihe eines Rockkonzerts und FLIPPE AUS WEIL DAS VERDAMMT NOCH MAL DAS GEILSTE GEFÜHL DER WELT IST!!! Ich stupse Ruby mit dem Ellenbogen an, weil ich weiß … ich weiß. Es ist schrecklich, aber es geht vorbei. Wir schaffen das.

    Wir sind Drachen.

    4 Kommentare

    1. Liebe Julia, ich kann nichts anderes sagen als DANKE für deine ehrlichen und offenen Worte! Dein Text ist sehr berührend und bewegend! Vor 2 Jahren hatte ich einen schweren Autounfall, ein Trauma welches noch lang nicht überwunden ist, aber deine Worte machen mit und geben Hoffnung! Danke dafür!

      • Liebe Sabrina, du bist ein starker Mensch, ich bin ganz sicher, dass du das ebenso überwinden kannst wie ich. Ich weiß, wie sich das anfühlt, wenn einen die Angst anspringt, aber man hat es überlebt und das ist das Wichtigste. Ich drück dich! <3

    2. Ach Julia!
      Was ist Dir denn passiert ?
      Schaumkrone ist so ein tolles Buch – lass Dich mal ganz fest in den Arm nehmen ?

      Lg Agnes

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